Gisela Jäckel berichtet GoetheschülerInnen von der Zeit des Nationalsozialismus

„Ich werde alles so erzählen, wie ich es als Kind erlebt habe.“ Diese Worte stellte Gisela Jäckel an den Anfang ihres Besuchs an der Wetzlarer Goetheschule. Und es waren genau diese persönlichen Erinnerungen an die Zeit des Nationalsozialismus, die Schüler und Lehrer gleichermaßen nachhaltig beeindruckten.

Gisela Jäckel wurde vor 87 Jahren in Wetzlar geboren, an ihre jüdischen Großeltern, Berta und Josef Lyon, erinnern in der Wetzlarer Altstadt heute „Stolpersteine“, ebenso an ihre Mutter Rosa Best. Anlässlich des Gedenktags an die Opfer des Holocaust hatten die Geschichts-Leistungskurse der Goetheschule unter der Leitung ihrer Lehrer, Thorsten Fuchs und Michel Bender, die Zeitzeugin an Wetzlars Oberstufengymnasium eingeladen.

Im Gespräch mit den Schülerinnen und Schülern, die das Zeitzeugengespräch durch Fragen vorbereitet und auch die Moderation übernommen hatten, erzählte Gisela Jäckel von ihrer Kindheit in Wetzlar und wie sich durch die Nationalsozialisten plötzlich alles veränderte. Sie berichtete davon, wie ihre Großeltern 1939 von „Männern in schwarzen Stiefeln“ abgeholt und nach Frankfurt gebracht wurden, wo jüdische Menschen zum „Abtransport“ gesammelt wurden. Von hier wurden ihre Großeltern am 8. Mai 1942 in das Konzentrationslager Theresienstadt gebracht. Das Haus der Großeltern wurde verschlossen, Jäckel selbst durfte damals noch nicht einmal mehr hinein, um eine Puppe zu holen.

Sie berichtete ebenfalls aus dem Jahr 1943, als eines Abends ein Brief ihre Mutter, Rosa Best, erreichte, der sie aufforderte, sich am darauffolgenden Mittwoch ebenfalls in Frankfurt einzufinden. Ihr Vater, der die Mutter nach Frankfurt gebracht hatte, sei abends alleine zurückgekommen und dort zusammengebrochen, erzählte sie. Rosa Best wurde nach sechs Monaten von Frankfurt ins Vernichtungslager Auschwitz deportiert und dort ermordet.

Auch von Erlebnissen aus der Schulzeit erzählte die Zeitzeugin, etwa, dass es durchaus Lehrer gab, die sie unterstützten. Andere Erwachsene hingegen machten auf Jäckels familiären Hintergrund aufmerksam, was schließlich zu Ausgrenzung und Diskriminierung führte. „Von da an war ich das Judenmädchen“, sagte sie. Dass sei so weit gegangen, dass andere Eltern während eines Fliegerangriffs sie aufgefordert hätten, den Schutzgraben zu verlassen.

Die Goetheschülerinnen und -schüler interessierte, wie Gisela Jäckel persönlich zum Gedenken an die von den Nazis ermordeten jüdischen Mitbürger durch Stolpersteine stehe. Zunächst sei sie dagegen gewesen, gab Jäckel zu. Die Vorstellung, dass der Name ihrer Mutter mit Füßen getreten werde, habe sich seltsam angefühlt. Dann jedoch habe sie Stolpersteine in Köln gesehen und ihre Meinung geändert. Heute sei sie dankbar, dass sie zugestimmt habe. Besonders freue sie sich, wenn gelegentlich Blumen an den Stolpersteinen, die an ihre Mutter oder Großeltern erinnern, niedergelegt würden.

Positiv erwähnte die 87-jährige auch die Rolle der Egerländer Heimatvertriebenen, die nach dem Krieg nach Wetzlar kamen und deren Freundschaft sie nach den Jahren gesellschaftlicher Isolation und Ausgrenzung schloss. „Dann war ich wieder im Leben drin“, sagte sie.

Wiederholt betonte Gisela Jäckel, sie wolle nicht das Herz der Schülerinnen und Schüler beschweren, sondern nur zeigen, wozu Menschen fähig sind. Sie selbst habe nach dem Krieg lange nicht über das Thema der Entrechtung und Verfolgung der jüdischen Bevölkerung sprechen können, da sie Angst gehabt habe. Je mehr das Thema jedoch in die Öffentlichkeit rückte, desto leichter sei es ihr gefallen. Heute freue sie sich darüber, wenn etwa Schülerinnen und Schüler Interesse an ihren Erfahrungen zeigen und sie einladen, um ins Gespräch zu kommen. Gleichzeitig appellierte sie an ihre ZuhörerInnen, Menschlichkeit und Mitgefühl zu zeigen, und Konflikte friedlich zu lösen.

 

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