Gespannt lauschen die 40 Schüler dem 88-Jährigen, der aus seinem Leben erzählt. Sally Perel überlebte den Holocaust, und das auf kaum vorstellbare Weise: Als er mit 16 Jahren den Nazis in die Hände fällt, gibt er sich als Volksdeutscher aus – aus dem Juden Sally wird Josef Perjell, Perel rettet sein Leben „in der Haut des Feindes".
Erst Jahrzehnte später schrieb Perel in seiner Autobiographie „Ich war Hitlerjunge Salomon" über seine Erlebnisse. 1992 erschien die deutsche Ausgabe, die unter dem Titel „Hitlerjunge Salomon" auch verfilmt wurde. Seither ist es Perel, der heute in Israel lebt, ein Anliegen, nach Deutschland zurückzukehren, um Schülern von seinen Erlebnissen, seinen Erfahrungen und seinen Gedanken zu berichten. Auf Initiative der Friedrich-Naumann-Stiftung war er am vergangenen Mittwoch auch an der Wetzlarer Goetheschule zu Gast.
Sally Perel wurde 1925 im niedersächsischen Peine geboren. Als er und seine Eltern im Jahr 1935 die Auswirkungen der Nürnberger Rassegesetze zu spüren bekamen, emigrierten sie nach Polen, doch der braune Terror holte sie ein. Die Deutschen marschierten in Polen ein, Sally und sein Bruder flohen nach Russland, während die Eltern im Ghetto zurückblieben und hier später starben. Doch auch Sally fiel der deutschen Wehrmacht in die Hände und erklärte, den sicheren Tod vor Augen: „Ich bin Volksdeutscher!" Man glaubte ihm und Perel wurde wie viele andere Jugendliche Mitglied der Hitlerjugend.
Selbstverständlich habe es einen Konflikt bedeutet gleichzeitig Hitlerjunge und Jude zu sein, berichtete Perel den Goetheschülern. Neben täglicher Selbstverleugnung und innerer Zerrissenheit habe es nicht zuletzt große Selbstdisziplin erfordert, keine Fehler zu machen, die ihn verraten hätten.
Der Autor gab den Schülern im eineinhalbstündigen Gespräch Einblicke in seine Gefühle und Gedanken, erzählte etwa, wie ihm sein Vater beim Abschied in Lodz den Rat gab „Sally, vergiss nie, wer Du bist", während seine Mutter ihm sagte „Du sollst leben". Bei seiner Gefangennahme habe er zwischen beiden Ratschlägen abwägen müssen und sich letztlich für den seiner Mutter entschieden – um den Preis der Aufgabe seiner eigentlichen Identität. Offen gab der Holocaust-Überlebende zu, dass er sich in der Hitlerjugend mit Teilen der NS-Propaganda identifiziert habe, der er täglich ausgesetzt war. Ihm habe als 16-Jährigem der kritische Maßstab gefehlt. Auch deshalb sehe er es heute als seine Aufgabe, junge Menschen zu kritischem Denken zu erziehen.
Perel betonte, wie wichtig es sei, an die NS-Verbrechen zu erinnern, vor allem in Anbetracht der Tatsache, dass es bis heute Menschen in Deutschland gebe, die nationalsozialistische Gedanken propagierten oder sogar den Holocaust leugneten. Den Schülern sagte er, dass sich keiner von ihnen für die Taten der Nazis entschuldigen müsse, da die junge Generation keine Schuld treffe. Er habe aber den Wunsch, dass alle Zuhörer seinen Bericht an andere Menschen weitergeben, um auf diese Weise eine Wiederholung der „unvergleichlichen NS-Verbrechen" unmöglich zu machen.

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