In einem ökumenischen Gottesdienst haben am 75. Jahrestag der Pogromnacht rund 140 Besucher im Wetzlarer Dom der Opfer der Judenverfolgung im Dritten Reich gedacht.
Schüler der Goetheschule erinnerten mit im Unterricht erstellten Texten an die Ereignisse um den 9. November 1938. So stellte Helena Peter den Besuchern das Schicksal des damaligen Kantors der jüdischen Gemeinde Wetzlar, Josef Gerstel, vor, der an diesem Tag vor 75 Jahren gewaltsam aus seiner Wohnung abgeholt und dessen sämtliches Mobiliar auf die Straße geworfen wurde. Später konnte er freikommen und nach Israel fliehen. Anne Krischke berichtete den Zuhörern von den Erlebnissen des jüdischen Zeitzeugen Albert Herzfeld. Zuvor hatte Maximilian Petry an die historischen Hintergründe der Reichspogromnacht erinnert.
Der katholische Dekan Peter Kollas führte gemeinsam mit dem evangelischen Pfarrer Björn Heymer durch den Gottesdienst. „Es geschah unter uns, der staatlich organisierte Massenterror gegen die jüdische Bevölkerung. Synagogen wurden zerstört, geschändet und niedergebrannt, Geschäfte geplündert, Männer inhaftiert und Frauen und Kinder geschlagen und geschändet", berichtete Peter Kollas. Dass so viele Jahre später in einem Gottesdienst der Ereignisse gedacht wird, sei die heutige Generation den Opfern, deren Angehörigen und der Kirche schuldig, die damals versagt und nicht für die Juden gesprochen habe.
Die drei Schülerinnen Lea Havekost, Louisa Süß und Friederike Süß sagten in einer Sprechmotette „Zuerst brannten Bücher, dann Synagogen und danach Menschen". Heute, 75 Jahre danach, gebe es immer noch Menschen mit braunem Gedankengut, klagten sie und verwiesen darauf, dass alle Menschen gleich seien: „jeder Mensch ist ein Ebenbild Gottes".
Die 1938 geborene Ulla Schneider spannte ebenso wie die Oberstufenschüler den Bogen in die Gegenwart, wo zum einen jüdische Einrichtungen Polizeischutz brauchten und zum anderen Gewalt gegen Menschen anderer Herkunft immer noch geschehe.
Die Schüler griffen in ihren Ausführungen auch den Gedanken zu einem kirchlichen Gedenktag an die Reichspogromnacht auf. Besonders die nachgeborene junge Generation müsse die Geschichte kennen und für sie sensibilisiert werden. Ulla Schneider sagte, „schaut denen ins Gesicht, die fremdartig sind. Kommt miteinander ins Gespräch mit Juden und Muslimen". Anschließend entzündeten die Schüler Kerzen zum Gedenken an die ermordeten jüdischen Wetzlarer Mitbürger und es wurde in u. a. von Schülerin Alisa Bergheuer vorgetragenen Fürbitten der involvierten Menschen gedacht.
Den Gottesdienst gestalteten Schulpfarrer Andreas Engelschalk, Religionslehrer Erek Bender, der Musiker Alexander Rodin mit Klezmermusik auf der Klarinette sowie die Kantoren Dietrich Bräutigam (Orgel) und Horst Christill (Klavier) mit.

Fotos: Lothar Rühl

1: Das Vorbereitungsteam des Gottesdienstes
2: Louisa Süß, Friederike Süß und Lea Havekost (von links) gedachten mit einer Sprechmottete der Ereignisse vor 75 Jahren.
3: Alexander Rodin gestaltete den Gottesdienst musikalisch mit Klezmermusik.
4: Anne Krischke, Friederike Süß, Maximilian Petry und Alisa Bergheuer (von links) entzündeten Kerzen zum Gedenken an die ermordeten jüdischen Mitbürger.
5: Auch Lea Havekost und Helena Peter (von links) gedachten mit Kerzen der Wetzlarer Opfer der Pogromnacht.

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