Es war im Herbst 2010, als sich der Marburger Historiker Prof. Dr. Eckart Conze plötzlich im Blickpunkt der nationalen und internationalen Medien wiederfand. Gerade hatten er und seine Mitautoren ihr Buch „Das Amt und die Vergangenheit" veröffentlicht und an Außenminister Guido Westerwelle überreicht. Die Verfasser untersuchen darin die Rolle des Auswärtigen Amtes – des deutschen Außenministeriums – zur Zeit des Nationalsozialismus sowie den Umgang mit dieser Vergangenheit in der jungen Bundesrepublik.

Die Ergebnisse sorgten für Aufsehen und gefielen nicht jedem, Kritik lies nicht lange auf sich warten. Dabei sei der Ton nicht immer sachlich gewesen, sagte Conze, der am vergangenen Mittwochabend zu Gast an der Wetzlarer Goetheschule war.

„Wir hatten offenbar einen Nerv getroffen" resümierte der Historiker. Woran das lag und wie es dazu kam, davon berichtete er den über 100 Gästen – vor allem Schülern – in der Aula des Oberstufengymnasiums. Den Kontakt zum hochkarätigen Redner hatte Dr. Alexander Jendorff, Geschichts- und Lateinlehrer an der Goetheschule, hergestellt.

„Das Amt und die Vergangenheit – Deutsche Diplomaten im Dritten Reich und in der Bundesrepublik" ist das Ergebnis der Arbeit der Unabhängigen Historikerkommission – Auswärtiges Amt, die im Jahr 2005 vom damaligen Außenminister Joschka Fischer eingerichtet wurde. Conze, Professor für Neuere und Neueste Geschichte an der Universität Marburg, war nicht nur Mitglied, sondern auch Sprecher der fünfköpfigen Kommission. Er berichtete zunächst von den Anfängen des Projektes, dessen Auslöser die „Nachruf-Affäre" gewesen sei. Angestoßen durch die Debatte um die Handhabung von Nachrufen auf verstorbene Diplomaten mit NS-Vergangenheit, erging der Auftrag an die Historikerkommission, die Geschichte des Auswärtigen Amtes im Nationalsozialismus, den Umgang damit nach der Neugründung 1951 sowie personelle Kontinuitäten zu untersuchen.

In verständlicher und doch wissenschaftlich-fundierter Weise fasste Conze in seinem 45-minütigen Vortrag den Gästen die Ergebnisse dieser Arbeit zusammen und versuchte zu erklären, warum sie für solchen Wirbel gesorgt hatten. Die Kommission kommt zu dem Schluss, dass es sich bei der Darstellung der Rolle des Auswärtigen Amtes zur Zeit des Nationalsozialismus als einem „Hort des Widerstandes" um reine Legende handele. So hätten die Diplomaten nicht nur von der Vernichtung der europäischen Juden gewusst, sondern aktiv daran mitgewirkt. Bereits 1933 habe das Auswärtige Amt „vorauseilende Kooperation" gegenüber den neuen Machthabern an den Tag gelegt, die sich dann „zunehmend dynamisiert und radikalisiert" habe.

Der Mythos vom Außenministerium als Stätte der Opposition sei in den Anfangsjahren der BRD entstanden und habe auch darauf gezielt, alten Diplomaten mit NS-Vergangenheit den Weg ins Auswärtige Amt zu ebnen. „Bonn glaubte auf die Erfahrung und die Kompetenz alter Diplomaten angewiesen zu sein", erklärte Conze nur eines der Motive hierfür.

Er erzählte auch von der Kritik, die vom Vorwurf der „grotesken Verschwendung von Steuergeldern" bis zu dem der „Tendenzliteratur" reichte. Höhepunkt für ihn selbst sei die Anschuldigung gewesen, das Buch „Das Amt und die Vergangenheit" verbreite DDR-Propaganda.

Im Anschluss an den Vortrag hatten die Gäste Gelegenheit, Conze Fragen zu stellen, wovon insbesondere die Goetheschüler eifrig Gebrauch machten. Sie bewiesen hierbei nicht nur großes Interesse, sondern auch erhebliches Verständnis und Sachwissen über Themen wie den Kalten Krieg, die DDR-Vergangenheit und verschiedene historische Perspektiven. Sie fragten nach Möglichkeiten des Widerstandes in hohen Positionen, nach Conzes recherchebedingten Zusammenkünften mit Betroffenen seiner Forschung oder nach dem Hintergrund der erhobenen Vorwürfe.

Conze schien es sichtlich ehrlich zu meinen, als er sich nach fast zwei Stunden für eine spannende Diskussion bedankte, die ihm viel Spaß gemacht habe. Er komme bei Gelegenheit gerne wieder an die Goetheschule sagte er und schenkte zum Abschied der Schulbibliothek eine Ausgabe von „Das Amt und die Vergangenheit".