„Sag ‚Wilhelmine' bitte nur einmal so, als wenn du 'ne Postkutsche auf 'ne dreiwöchige Reise schickst!" Mit einer Mischung aus Irritation und Faszination beobachten die Schüler, was der Mann in der Mitte des Tischkreises da von ihrem Klassenkameraden Dennis verlangt. Der Mann, das ist Schauspieler Stephan Ullrich – bekannt aus der ZDF-Vorabendserie „Samt und Seide", dem „Bergdoktor" oder „Forsthaus Falkenau".

Vor allem gilt Ullrichs Leidenschaft aber dem Theater. Diese Leidenschaft auch den Schülern an der Wetzlarer Goetheschule zu vermitteln, war eines der Anliegen, die er am Montag, 22. April, mit ans Wetzlarer Oberstufengymnasium brachte.

Einen Vormittag lang erfuhren die Schüler der Deutsch-Leistungskurse vom Profi, wie man sich Texte am Theater erschließt, individuell zugänglich macht und Nuancen herausarbeitet. Möglich gemacht hatte die etwas andere Deutschstunde das Informations- und Mediennetzwerk für Schulen (IMeNS).

Dem Theater brechen gleich zwei Generationen von Besuchern weg, sagt der 53-jährige, der schon mit Stücken wie „Der Name der Rose", „MEDEA", oder den „Buddenbrooks" auf den Bühnen der Republik stand. Die Elterngeneration habe keine Zeit, die Jugendlichen interessierten sich nicht dafür. Höchste Zeit also, vor Ort etwas daran zu ändern, schien seine Devise zu sein.

Bereits drei Wochen vor seinem Besuch hatten die Goetheschüler von Ullrich den Auftrag bekommen, sich mit Briefen von Heinrich von Kleist auseinanderzusetzen: Leise lesen, laut lesen, Notizen machen – so lautete die Aufgabe. Ausgehend von den Beobachtungen und Notizen der Schüler entfaltete sich im Klassenraum ein Gespräch darüber, wie man sich einer Rolle nähert, sich in sie hineinversetzt und Literatur lebendig werden lässt. Auch praktische Übungen, wie sie für Schauspieler zum täglichen Handwerk gehören, fehlten nicht: Atemübungen, Entspannungsübungen und Sprechübungen demonstrierte Ullrich den Schülern. Die schauten gespannt zu und machten mitunter auf Ullrichs Anweisung hin auch mit.

Ausgehend von den Texten schlug Ullrich jedoch immer wieder auch den Bogen zur eigenen Situation der Schüler. In Kleists Briefen an seine Schwester Ulrike und seine Verlobte Wilhelmine geht es um Ziele und Aufgaben im Leben, um Selbstfindung und persönliche Krisen. Und plötzlich sprach der charismatische Schauspieler von Prüfungssituationen im mündlichen Abitur, das in wenigen Wochen auf die Schüler wartet, oder von Lebenszielen und Plänen nach der Schule. Dabei gab Ullrich durchaus auch Persönliches von sich selbst preis, berichtete etwa von seinem eigenen Abitur, durch das er sich hindurchgequält habe, oder dem seines Sohnes im vergangenen Jahr.

Am Ende der Begegnung mit Stephan Ullrich waren die Schüler um eine beeindruckende Erfahrung reicher. Vielleicht wendet mancher eine der Atemübungen ja zum Stressabbau vor den Abiturprüfungen an, wie der Schauspieler vorschlug. Vielleicht denkt mancher zukünftig auch bewusster über seine Lebensziele nach – oder geht einfach mal wieder ins Theater!